Nachfolgend ein paar Gedanken zu den anstehenden Problemen
Ich bin folgender Auffassung:
Wir sollten bzw. müssen uns auch stärker zum Denkmalschutz äußern und einsetzen. Dem ständigen „Herumbasteln, Kompromiss suchen, Einknicken und Abwerten von vorhandenen Denkmalen“ muss gründlich widersprochen werden. Ausnahmen sind natürlich neue Erkenntnisse und gesetzliche Veränderungen.
Ich finde das als gröblichste Missachtung unserer städtischen Identität. Schon der oft verwendete Begriff „Nachkriegsmoderne“ statt DDR–Moderne ist ein sprachliches und sachliches Unding. Ebenso eine Diskriminierung der einstigen Fachleute ! Damit meine ich nicht die politisch – ideologische Ebene.
Das Podiumsgespräch in der Kraftwerkhalle war vom Kulturverein organisiert und ein zweischneidiges Schwert. Dazu eine schlecht vorbereitete und überforderte Moderatorin.
Der Schutz eines Baudenkmals ist für mich „ohne wenn und aber“. Ansonsten hat er keinen Sinn und es kann eine Entwicklung nicht objektiv und wahrheitsgemäß nachvollzogen werden. Alle Details sind wichtig! Dem steht die Systemische Frage natürlich im Weg, denn Geld regiert bekanntlich die Welt. Deswegen sollte eine konsequente Haltung zum Denkmalschutz an 1. Stelle stehen.
Wohl die meisten Architekten fühlen sich nicht für Stadtgestaltung zuständig. Sie gestalten in der Regel Einzelgebäude. Manche interessiert nicht was sich „daneben“ befindet, es sei denn, es ist im Gestaltungsauftrag behandelt, gefordert, zu beachten oder sonst wie erwähnt. Das ist ja auch o.k.
Allerdings haben die gebauten und angelegten Straßenzüge bzw. Stadtteile nichts mit dem jetzigen Zeitgeist zu tun. Die Optimierung eines Warenhandels, der mit den vorhandenen Baustrukturen nicht kompatibel ist, fällt uns gehörig auf die Füße. Die Politik ist dazu untätig und einige unfähig bzw. nur abwartend. Von außen für mich schwer zu deuten.
Der überstürzte Anschluss an die ehemalige BRD und die damit verbundene Deindustrialisierung hat der Industriestadt Chemnitz schwer zugesetzt. Dazu kommt die Einzelteilbehandlung verschiedener Freiflächen und bebauter Flächen. Das heißt: Einfallslose Eingliederungen von Parkhäusern ( besonders, was die äußeren Ansichten betrifft), eine Steinwüste der Marktplatz (früher wenigstens zwei Grünbeete mit Sitzmöglichkeiten vor dem Standesamt), keine Suche nach einer Möglichkeit Buschwerk anzusiedeln. Eine große Fehlentscheidung die Baugenehmigung für den Kaufhof – wodurch eine große Fläche für die jetzt zu kleine Fläche der Zentralhaltestelle für die zu vielen Fahrzeuge und die bessere Übersichtlichkeit der Haltestellenbereiche fehlt.
Die eigentlich einzige Möglichkeit, die noch vorhanden bleibt, ist die Bahnhofstraße endlich umgestalten.
3 Fernverkehrsstraßen raus aus der Innenstadt !
Das setzt natürlich voraus, schon länger im Stückwerk begonnene Umgehungsstraßenverbindungen fertigzustellen. So könnte etwas mehr Raum für die Überarbeitung der Zentralhaltestelle gewonnen werden.
Die beste Lösung – ein Abriss des Kaufhofgebäudes wird sicher nicht umsetzbar werden.
Der Stadt hätte seit 1990 einen richtig guten Stadtarchitekten gebraucht, bei dem die Gestaltung der Stadt in einer Hand zusammenläuft.
Auch scheint es seit dieser Zeit (oder seit den 2000ern Jahren) keinen Generalbebauungs- und Gestaltungsplan zu geben. Anderen Akteuren fällt diese Planlosigkeit natürlich auf und beeinflusst ihre Entscheidungen. So bemerkte beispielsweise Herr Fricke, der ehemalige DB-Verantwortliche für den Streckenausbau Dresden – Nürnberg im Gespräch mit dem Viaduktverein: „Wir merken und wissen, dass Chemnitz keinen Plan für Zukunft hat und nicht ersichtlich ist, was die Stadt will.“
Zum Beispiel:
Ehemaliger Parkplatz neben Kulturkaufhaus Tietz. Die Freifläche mit zahlreichen Bäumen wird für eine gute städtische und soziale Aufenthaltsqualität unbedingt benötigt, da viele Bürger die zu eng gebauten Parkhäuser nicht benutzen wollen. Für die Gründe muss der einzelne Mensch darüber natürlich gut nachdenken.
Zum Beispiel:
Im Gebäude der IHK auf der Straße der Nationen waren in der Erdgeschosszone vier Industriewarenläden für Schuhe, Strümpfe, Uhren und Schmuck und Damenunterbekleidung – immer sehr gut besucht !
Abwertend äußern sich hier nur die Menschen, die keine Ahnung haben, wie trotz Mangelwirtschaft die Verhältnismäßigkeiten gewesen sind.
Kleines Erlebnis am Rande:
Der bekannte Autor und Kunstsammler L.G. Buchheim und seine Frau haben bei ihrem Besuch in Chemnitz im Dez.1990, als wir dort entlang gegangen waren, beide sehr gestaunt (wahrscheinlich, weil es aussah, wie in München).
Zum Beispiel:
Straße der Nationen (gegenüber der IHK) mit den Läden der Arkaden, Springbrunnen und Sitzgelegenheiten – alles sehr sinnvoll angelegt, heute jedoch vermietet an Ramschbuden, die Wasserspiele tot oder selten in Betrieb. Vieles wird von den Verwaltungen genehmigt, was vermeintlich der „Markt“ regelt. Aber der Markt regelt prinzipiell nichts ohne Steuerung. Wie kann man so gegen eine Aufenthaltsqualität arbeiten ?
Zum Beispiel:
Die Annaberger Straße – für viele das Tor zum Erzgebirge (Montanunion): Hier reiht sich Autofriedhof an Autofriedhof, zusätzlich noch Autohäuser. Dazwischen gewerbeähnliche Flächen, kaum Wohnbebauung, die Straßenstruktur von zahlreichen Abrissen aus Zeiten des Stadtumbau Ost gezeichnet. Eine große Zumutung für die Anwohner in der Kulturhauptstadt. Obwohl die Bundesstraße mit 2 Straßenbahnlinien versehen ist. Was für eine Gestaltungsidee und was für ein Stadtumbau ?
Zum Beispiel:
Die Zerstörung der Reichenhainer Str. mit ihrer wunderbaren Baumallee – ein Alleinstellungsmerkmal für die Stadt, ist im Rückblick und in Anbetracht der sichtbaren Klimaprobleme ein noch viel größeres Verbrechen.
Zum Beispiel:
Die Würdigung eines bedeutenden Bürgers der Stadt durch die vermeintliche Ehrung und Widmung mit einer völlig ungeeigneten Verkehrsfläche als Stephan-Heym-Platz.
Zum Beispiel:
Der zerstörte ehemalige Posthof, welcher grün, teilweise schattig durch Pergolen, Bänken mit Rückenlehne und einer vorhandenen Wasserfläche. Jetzt gibt es Bäume, doch von den Bänken mit Rückenlehne stehen manche an einer falschen Stelle (zwischen 2 Bäumen), jede Menge Sturz – und Stolperfallen, weil der Ort keine einheitliche Ebene hat. Viele Stufen und Absätze, nicht ersichtlich bei ungünstigen Lichtverhältnissen und für Sehbehinderte, Blinde und Rollstuhlfahrer eine Katastrophe ! Ausgewiesen ist der Platz als städtische Grünanlage. Wer gestaltet für Lohn eine solche schlechte Arbeit ?
Zum Beispiel:
Die umfangreichen Eingriffe in das Architekturensemble, Stadthallenpark mit Brunnenanlage, Stadthallenkomplex und Kongreßhotel mit besonderer Eingangszufahrt sind als städtebaulicher Verlust zu werten. Der Architekt Rudolf Weißer erhielt für seine Leistung vom Westen einen Architekturpreis.
Zum Beispiel:
Die Unfähigkeit, das älteste Bauwerk der heutigen Stadt, den Roten Turm in die „Rote Turm Galerie“ gestalterisch richtig einzubeziehen (wahrscheinlich fehlte hier die richtige Aufgabenstellung) wird das Bauwerk doch von der unmittelbar angrenzenden Neubebauung dominiert und ignoriert.
Zurück zum Podiumsgespräch vom 12. September:
Warum muss man ausgerechnet von der Mitte der Brückenstraße (der Abschnitt mit dem Bezirksverwaltungsgebäude) in den Schillerpark laufen können , wo doch 2 Straßen vorhanden sind, die besser es lohnt zu gehen. Die eine, die Theaterstraße, und vor allem muss die Straße der Nationen belebt erhalten und nicht zur Seitentangente herabgestuft werden.
Unter anderem wurde der Gedanke, Durchgang schaffen zum Theaterplatz und weiter bis zum Brühl von einer Arbeitsgruppe der Architektenkammer entwickelt. Dazu müsste der Durchgang des Museums wieder geöffnet werden und – was aber einen denkmalpflegerischen Fauxpas gleichkommt. Was aber gar nicht geht, ist die „Durchsägung“ des ehemaligen Verwaltungsgebäudes des Bez.- Karl-Marx-Stadt und der Parteibezirksleitung, die sogenannte „Säge“, fälschlicherweise als Falte bezeichnet (der Begriff hat eine ambivalente Bedeutung !).
Der gesamte Komplex hat durch den Abriss des Veranstaltungsforums an der Giebelseite zur Theaterstraße schon eine enorme Schädigung erfahren – eine sehr dümmliche Entscheidung, städtebaulich und in Hinsicht auf kulturell und sozial nutzbare Verwendungsmöglichkeiten.
Weiterhin wurde über die verkehrstechnische Neuordnung der Brückenstraße gesprochen. Hier ist ein separates Gleisbett geplant, was letztendlich eine Überquerung für Fußgänger erschweren und die Barrierewirkung vergrößern würde. Ein grober Fehler. Das Stadtforum plädiert, wenn Gleise, dann in der Fahrbahnebene – doppelte Nutzung der gleichen Fläche.
Dringend muss der Idee, den Stadthallenpark durch eine Fußwegkurve zu zerschneiden widersprochen werden – aus gestalterischen und vor allem aus ökologischen Gründen.
Die einzige Sache, die man befürworten kann, ist die Sperrung der Brückenstraße für den motorisierten Individualverkehr für die Sommermonate 2025 (zwischen Theaterstraße und Str. der Nationen). Zu dieser Zeit sind noch kein Gleis und keine Oberleitungen vorhanden. Die Fläche kann dann für Volksfeste, Konzerte, Veranstaltungen usw. genutzt werden, ohne mit der Taktung der Straßenbahn zu kollidieren.
Hier könnte man am Modellversuch eine dauerhafte Lösung für beispielsweise die Fahrspuren der Straße der Nationen nachdenken.
Die vielen fremden Entscheidungsträger konnten und können mit der spröden Industriestadt Chemnitz nicht umgehen. Das führte dazu, dass Verwaltung und Stadtrat aus den unterschiedlichsten Gründen und Interessen Teile des Flächen-Tafelsilbers verkauften. Mit der damit verbundenen Entscheidungs- bzw. Verhinderung von zukünftiger Einflussnahme, wenn eine andere Vorstellung oder Notwendigkeit sich herausstellt. Die Stadt somit nur noch als Bittstellerin tätig sein kann..
Sehr bedauerlich ist, dass der Kulturverein nicht das Stadtforum in das Podiumsgespräch einbezogen hat.
Bei richtiger Recherche wäre das naheliegend gewesen – wir sind nicht unbekannt ,hatten vorab einen Zeitungsbeitrag zu diesen Themen in der Freien Presse, haben im Netz eine Seite, und und …
All dies hat mit den anders sozialisierten ( in der Konkurrenzgesellschaft ) Entscheidungsträgern zu tun. In allen Medien finden sich zur Zeit die Probleme mit dem Umgang Ostdeutschlands – einfach keine Augenhöhe.
Es bleibt die Frage offen: Wem gehört die Stadt ?
Ich muss einigen zurufen – wir brauchen das „Fahrrad“ nicht neu zu erfinden. Alexander Mitscherlich hat viele unserer heutigen Probleme in seinem 1965 erschienenen Buch „ Die Unwirtlichkeit unserer Städte
Thesen zur Stadt der Zukunft“ aufgezeigt:
„Die Stadt der Zukunft ist so viel wert wie die Kraft ihrer Bürger, sich übertriebenen Anpassungszwängen mit kritischer Einsicht entgegenzustemmen, nach Besonderheit statt nach Konformität zu drängen, ihr eigenes Urteil zu suchen, statt sich dem der Öffentlichkeit bereitwillig anzuschließen. Wo immer wir aufgeklärte und nicht grenzenlos manipulierbare Menschen als Mitbürger wünschen, müssen wir ihnen die Chance geben zu solchen Menschen zu werden. Und das hängt von ungezählt vielen, die Gesamtheit einer Umwelt ausmachenden Faktoren ab.“
Michael Backhaus
(Berufsfotograf)
Zum Autor: M. Backhaus ist Autor des Buches „Chemnitz – Ansichten einer Stadt“; Chemnitz 1996 und weiterer Dokumentationen, besitzt ein großes Fotoarchiv und ist sei 1990 engagiert in der Bürgerbewegung. Der Artikel ist in seiner eigenen, engagierten Art verfasst.