Kulturhauptstadt 2025 Anpacken Chemnitzer!

Kulturhauptstadt 2025 Anpacken Chemnitzer!

Stell dir vor, es ist Kulturhauptstadt und keiner geht hin…

Ich hatte mich wirklich gefreut, als Chemnitz im Auswahlverfahren zur Kulturhauptstadt Europas an allen Mitbewerbern vorbeizog und den Titel für 2025 einheimste. Dabei wurde unsere Stadt mit viel Vertrauensvorschuss in die heiße Phase der Vorbereitung geschickt. Warum? Weil Chemnitz wohl von allen, die ihren Ring in die Waagschale geworfen hatten, die negativste Außenwirkung und somit das größte Entwicklungspotential hat. Und – weil die Macher des zur Bewerbung abzugebenden s.g. Bidbooks genau das recht ehrlich in selbiges geschrieben haben. Bürgerbeteiligung, Offenheit und Transparenz sollten alle Kulturschaffenden auf dem Weg zum Titeljahr begleiten. Ganz im Sinne vieler ehrenamtlich engagierter Chemnitzer, so auch des Stadtforums. Viele nutzten die Möglichkeit, kleine, mittlere und große Projektideen einzureichen. So weit – so gut. An diesem Punkt sollte doch logischerweise die eigentliche Arbeit beginnen. Doch – einige Pessimisten hatten genau das vorhergesagt wie die Prognose eines schlechten Wetterberichtes – herrscht allgemeine Funkstille. Hört man etwas zum Thema Kulturhauptstadt, hat dies hautsächlich mit diversen Personalwechseln in den Leitungsgremien zu tun. Wann geht es endlich los? Was ist mit meinem eingereichten Micro-Projekt? Wohin kann ich mich mit meiner Idee wenden? Wer ist Ansprechpartner? Ist mein Projekt überhaupt interessant oder eher weniger? Viele Fragen ohne Antworten, die wir als Stadtforum versuchen aufzunehmen und weiter zu transportieren. Die Mühlen mahlen zäh, als hätte jemand Honig reingeschüttet. Endlich wird die Kulturhauptstadt GmbH gegründet. Jetzt geht es voran! Denkste. In einer diesbezüglichen Beratung zur „Apfelparade“ einem Krüppel des ursprünglich erfolgsversprechenden Projektes „Apfel 2000“, bei dem die in Deutschland einheimischen Apfelsorten auf einer riesigen Streuobstwiese als nachhaltig-ökologisches Bildungsprojekt gepflanzt und so vor zunehmendem Vergessen bewahrt werden sollen, erfahren wir, dass der Geschäftsführer der o.g. GmbH erst in Kürze nach Chemnitz kommt um seine Tätigkeit aufzunehmen. Kein Chemnitzer also. Bleiben wir ein wenig bei besagtem Apfelprojekt. Den eigentlichen Ideengeber hat man erfolgreich ausgebootet, um eine Künstlerin aus Wien – wieder keine Chemnitzerin – zu beauftragen, die 2000 Apfelbäume in einer Linie durch das Stadtgebiet zu führen – Parade genannt. Nachdem aufmerksame Bürger darauf hinwiesen, dass eine Pflanzung von Obstbäumen im innerstädtischen Verkehrsraum ökologischer Unsinn sind und auch der gepflasterte und überdachte Bereich an der Zentralhaltestelle eher ungeeignet sind, hat man dem Projekt einen neuen Anstrich verpasst – Entsiegelung genannt. Eine weitere Künstlerin – ebenfalls nicht aus Chemnitz – pickert dazu munter gemeinsam mit einer Schulklasse im Verlauf eines Tages ein handtellergroßes Loch in einen Betonparkplatz im Heckertgebiet, in das später ein Apfelbaum gepflanzt werden soll. Die Idee ist nicht schlecht. Um auf die zunehmende Versiegelung aufmerksam zu machen, steht aber etwas blass der täglichen Versiegelung von ca. 80 Fußballfeldern in Deutschland gegenüber. Und wie zum Hohn asphaltiert die Stadt Chemnitz wenige hundert Meter entfernt eine größere Freifläche zu, ohne Bedarf wohlgemerkt. Es ist gut, wenn die eine Hand weiß, was die andere macht… Mittlerweile hat man wegen weiterer, den Prozess begleitenden ökologischen und gartenbaulichen Fehler das Projekt wieder umgebaut und zur ursprünglichen Idee zurückgeführt. Parade gestrichen. Der Verein Viadukt e.V. wurde von der Stadt Chemnitz auf das dringlichste gebeten, Projektvorschläge zur Umfeldgestaltung des Eisenbahnviaduktes an der Beckerstraße – einer der Interventionsflächen der Kulturhauptstadt – auszuarbeiten und einzureichen, hatte der Verein doch unlängst den Kampf gegen die Deutsche Bahn und für den Erhalt des wichtigen Kulturdenkmals gewonnen. In welcher Schublade diese Vorschläge liegen, bleibt noch zu erkunden. Derweil baut die Bahn weiter munter drauf los, während die Stadt parallel und ohne gegenseitige Abstimmung einen Dresdner Planer – ersichtlich ebenfalls kein Chemnitzer – mit der Ideenfindung zum Umfeld der Brücke beauftragt. Auf Hinweis des Viaduktvereins, dass die vorgelegten Ideen zwar zum Umfeld, nicht aber zu den bereits geschaffenen baulichen Tatsachen passen, verweilt dieser Prozess in gegenseitiger Zuweisung bzw. Absprache von Kompetenz, Verantwortung und Schuldigkeit.  Gut, wenn die eine Hand weiß, was die andere macht… Es ist 2022. Ein archäologischer Zufallsfund bei Bauarbeiten im Stadtzentrum sorgt überregional für Aufsehen. Im Bereich des Johannisplatzes sind die Überreste einer Mikwe, eines jüdischen Ritualbades gefunden worden. Möglicherweise aus der Zeit zwischen dem 15. Und 18. Jahrhundert. Zu dieser Zeit war die Ansiedlung von Juden in Sachsen außer in Dresden und Leipzig verboten und für Chemnitz auch in keinster Weise belegt. Eine Sensation und Einmaligkeit in Sachsen. Was könnte das für die Kulturhauptstadt bedeuten! Nichts. Die Stadt bleibt still, lässt den Investor des Baufeldes weitestgehend im Regen stehen. Die Fachleute des Landesamtes hingegen vermessen und bewerten den Fund akribisch, ein überregionaler Arbeitskreis wird gegründet, ebenso wie ein ehrenamtlicher Chemnitzer Verein. Dann wird die Mikwe aus konservatorischen Gründen wieder verfüllt und mit Beton gesichert. Wohl für immer. Die Bauarbeiten auf dem Areal gehen weiter. Es ist 2023. Eine Journalistin des ZDF kommt für eine Weile nach Chemnitz, um über den Anlauf zur Kulturhauptstadt zu berichten. Auch ihr bleibt die Ruhe, das Unkonkrete nicht verborgen. Wo ist die Kultur? Oder besser die Entwicklung der Kultur. Stattdessen werden diverse etablierte Kulturveranstaltungen aus Kostengründen für 2023 gestrichen. Parallel können auf Aufforderung der Kulturhauptstadt GmbH erneut Projektideen eingereicht werden. Das Stadtforum startet einen dritten, vierten oder fünften Anlauf, seine bei jeder Vorstellung von den Verantwortlichen gelobte Idee der Meeting-Skulptur für den Bereich am Stadthallenpark, gedacht als städtebauliche Orientierung und Gegenpol zum Karl-Marx-Monument und als Brücke zwischen den architektonischen Brüchen, die diese Stadt so oft erlebt hat erneut vorzubringen. Doch jetzt muss jegliche Idee in eine mit Anglizismen verklausulierte Kategorie und die diesbezügliche Ausschreibung passen. Unsere Idee passt aber nicht. Ist das Projekt nun baulicher Art oder eher künstlerisch-theoretisch? Für bauliche Dinge ist die Stadt zuständig, für theoretische die GmbH. Wir werden von A nach B verwiesen und zurück. Ein gemeinsamer Termin kommt nicht zustande. Stattdessen einer mit verschiedenen Amtsvertretern des technischen Rathauses, die dem ehrenamtlichen Häufchen Bürgern arrogant zu verstehen geben, das man an weiteren Störungen des erwarteten Verlaufes bis 2025 keinerlei Interesse hat. Es sei denn, wir finanzieren, organisieren, errichten, warten und entfernen unsere Idee später wieder. So ernüchtert sehen sich viele Ideengeber zum Gesamtkonglomerat Kulturhauptstadt. Projekte wie „Nimm Platz“ werden in Bezug auf Aufstellflächen, Plakate kleben etc. reglementiert und argwöhnisch beäugt, Publikationen scheitern an der Finanzierung, ganze am Anfang euphorisch von ehrenamtlichen Arbeitskreisen zusammengestellte Ideenkataloge bleiben unbeachtet. Und wären man an vielerlei Stelle Kitsch und Buntmalerei folgt, tickt die Uhr in Richtung 2025. Es mutet an, als hätte Chemnitz sich für den Titel „Kulturhauptstadt Mittelsachsen“ beworben, nicht für den mit europäischer Strahlweite. Was soll den Kulturinteressierten aus Portugal, Schweden, Estland oder Bulgarien nach Chemnitz locken? Der Nischel? Dabei gibt es sie durchaus in Chemnitz, die Kultur. Es gibt sie sogar vielfältig. Nur muss diese endlich mal erweckt werden! Vielleicht hat die Stadt auch eine Top-Planung bereits ausgearbeitet und in petto hinter verschlossenen Türen. Nur hat das mit der vielgepriesenen Bürgerbeteiligung, Offenheit und Transparenz nichts gemein. Dann ist es vielleicht besser, den Titel zurückzugeben. Ehrlicher. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch sind 1 ½ Jahre Zeit. Also anpacken, Chemnitzer!

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